Nicht nur Lucky-Luke-Leser wissen: Am Ende wird in den Sonnenuntergang geritten. Damit sich nicht unnötig Routine einschleicht, läuft es bei der diesjährigen Röhrl-Klassik genau umgekehrt: Das Abendrot ist das erste Highlight – nicht am See, sondern mitten drauf. Das grandiose Spätsommerwetter am Bodensee wollten das Gros des Rekordfeldes nicht verpassen, 160 von 170 Besatzungen haben bereits am Mittwoch in Bregenz eingecheckt und die Technische Abnahme passiert. Neun Crews werden noch erwartet, nur eine Mannschaft musste passen. Ihr 356 erlitt ausgerechnet vor dem Saisonhöhepunkt einen Motorschaden.
Es ist so warm, dass Röhrl-Klassik-Notarzt André Kröncke noch am späteren Abend mit kurzer Hose gesehen wird. Für den ersten gesellschaftlichen Höhepunkt hat sich mancher Pulli oder Jäckchen mitgenommen, schließlich ist das Schwäbische Meer berüchtigt für seine Wetterumschwünge und Stürme. Aber als der Halbsalondampfer Hohentwiel, das älteste Schiff auf dem Bodensee um Viertel nach Sieben am Abend den Hafen verlässt, ist die Dampfpfeife, die Kapitän Felix Brandauer nach dem Ablegen ertönen lässt, das einzig nennenswerte Lüftchen.
Namenspatron und Ehrengast Walter Röhrl hat auf dem historischen Raddampfer zum Willkommensabend geladen, flankiert von Beifahrer Christian Geistdörfer. Lutz-Leif Linden hat den Ausflug zwischen zwei Rundstreckenwochenenden in den Terminkalender gequetscht. Den Ausflug mit dem ältesten Schiff auf dem See (113 Jahre) wollte sich auch der AvD-Präsident nicht entgehen lassen. Innerhalb von zwei Stunden war der Trip auf der ehemaligen Staatsyacht des Königs von Württemberg ausverkauft. Wegen des großen Andrangs flankiert die mit Lichterketten behangene Oesterreich, ein restauriertes Art-Deco-Schiff aus dem Jahr 1928 mit weiteren Gästen, die vom Oberdeck rüberwinken. Ausgerechnet Hinnerk Schönemann, in Mecklenburg am Wasser wohnhaft und als Kommissar und Tierarzt in der ZDF-Krimi-Reihe „Nord bei Nordwest“ auf einem Boot hausend, steht des Abends am Hotel-Büffet und sagt schulterzuckend: „Ich habe keinen Platz mehr gekriegt.“
Und so verpasst er, wie sich die gewaltige Dampfmaschine von 51 Tonnen mit erstaunlicher Geschmeidigkeit in Bewegung setzt. Die offen liegende Kurbelwelle rotiert mit gemächlichen 22 Umdrehungen pro Minute dahin. Für Röhrl und seine Gäste ist Küsten-Cruising angesagt, die alte Dame muss nicht mehr rennen. „Wahnsinn“, sagt Rallye-Ikone Röhrl beeindruckt, als er im Ruderhaus das Ruderrad in die Hände nimmt, das früher bei schwerem Wetter zwei Rudergänger bändigen mussten. Das am Ende als Zier-Rad in einer Bahnhofskneipe an der Wand hing, und vom Kneipier nur gegen annähernd gleichwertigen Ersatz ausgelöst werden konnte.
Im Krieg in den Vierzigern, bei Außerdienststellung in den Sechzigern, und bei Ausmusterung als Clubheim des Segelclubs Bregenz insgesamt drei Mal dem Tode geweiht, brachte es doch niemand fertig, das Schmuckstück zu verschrotten. Stattdessen stach sie 1990 fertig restauriert wieder in den See. „Wahnsinn“, sagt Röhrl wieder und zeigt auf das piekfein polierte Oberdeck aus Pechkiefer. Der notorische Perfektionist ist tief beeindruckt von den Fetischisten der „Historischen Schifffahrt Bodensee“, die den 57 Meter langen Raddampfer aus dem Jahr 1913 am Leben halten.
Zwischen Ruderhaus und Backbordnock schütteln sich zwei Driftmeister in gegenseitiger Hochachtung die Hände, Kapitän Brandauer könnte niemals bei Glatteis einen 356 über den Col de Turini scheuchen, aber Röhrl könnte nie 365 Tonnen bei sieben Beaufort unfallfrei in Friedrichshafen an den Kai setzen. Sie mag für den Laien schwerfällig wirken, aber die Hohentwiel war mal der Porsche unter den Bodensee-Dampfern. 28 km/h fordert die Königlich-Württembergische Staatseisenbahn bei der Übernahme, bei der ersten Probefahrt zeigt der Tacho der 950 PS starken Maschine des Schweizer Traditionsunternehmens Escher Wyss 29,2 Kilometer pro Stunde. Bei einem Rennen zur schnellsten Überquerung des Sees anno 1950 wird die mittlerweile 47-Jährige Dame mit 29,5 km/h Zweite, geschlagen nur von einem 26 Jahre jüngeren Motorschiff.
Röhrls Gattin Monika hat schon öfter gesagt: „Wenn wir nicht im Wald, sondern am Wasser wohnen würden, gell, dann hätten wir auch ein Schiff.“ Als die Hohentwiel gemächlich auf dem spiegelglatten Obersee in den Sonnenuntergang dampft, gesteht der Weltmeister: „Das ist das einzige, was mich ein bisschen belastet. Dass die Monika hier nicht dabei ist.“ Doch Röhrls bessere Hälfte muss wegen des wichtigsten Familienmitglieds das Haus hüten. Röhrl verzieht schmerzhaft das Gesicht: „Der Katzensitter hat abgesagt.“
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