Die schwarze Wand – ein Traumstart bei Sonnenschein, ein Unwetter im Ziel

Vom strahlenden Spätsommer reitet die Porsche-Gemeinde auf der ersten Etappe schnurstracks in den Weltuntergang. Aber was soll’s: Die diesjährigen Röhrl-Klassik-Jacken sind ebenso wasserdicht wie die gute Laune der Teilnehmer.

Der hereinbrechende Tag gab sich wie der vorangegangene in seiner sonnenumschmeichelnden, samtenen Wärme als könne ihn kein Wässerchen trüben, als um halb sechs am Abend ferner Kanonendonner den Beginn einer epischen Schlacht ankündigt. Und klar: Es ist ja auch Donnerstag.

Das stolze Feld von 169 frisch geputzten Porsche hatte vor dem gleißend weiß angestrahlten Festspielhaus den Startbogen passiert, Sprecher Peer Günther plauderte das schaulustige Volk neben der Bregenzer Seebühne in eine Stimmung, dass sich jeder heimgehend irgendwie auch schon als Porsche-Besitzer fühlte. Schauspieler Hinnerk Strahlemann, Verzeihung Schönemann, schwebt mit ausgebreiteten Armen auf Walter Röhrl zu und säuselt: „Schön, dich zu sehen. Ich habe dich vermisst..“ Röhrl pariert gewohnt trocken: „Ich hab dich nicht ganz so vermisst, ich seh’ dich ja jede Woche im Fernsehen. Du mich nur einmal im Jahr.“

Die Teams waren bester Stimmung von der sich gerade am Seeufer anstapelnden Rushhour rechtzeitig rechts ab in die Höhe abgebogen, hatten die babyblauen Gestade des Schwäbischen Meeres aus der Höhe bewundert, waren über ein schmales, gewundenes Band durch saftgrüne Wiesen entlang zackiger Fichtenforste hinaufgewedelt, „Ich habe länger hier in der Region gelebt, aber heute habe ich Ecken kennengelernt, da war ich noch nie“, staunt AvD-Präsident Lutz-Leif Linden und lobt das Roadbook, ohne die Leistung seines Beifahrers Tim Ramms – Verlagsleiter bei Delius Klasing-Verlag – schmälern zu wollen. Auf dem 1062 Meter hohen Pfänder lassen sich angeblich 240 Alpengipfel sehen lassen. Die spektakuläre Fernsicht hätte uns eine Warnung sein sollen.

Über den sanften Hügeln zwischen Ravensburg und Friedrichshafen haben sich zwei himmlische Heere versammelt, und am späten Nachmittag eröffnen sie das Feuer. Der Donner der Geschütze rollt unablässig über das Nordufer des Bodensees, wenige Meter vor Rallyeleiter Peter Göbel schlägt blendend der Blitz ein. Orga-Mann Frank Christian bringt sich auf dem Platz der Wiener Symphoniker vor Hagelgranaten Kaliber 20 Millimeter in Sicherheit. Bei solchen Salven nützen auch die schicken Hüte nichts, die Walter Röhrl, Christian Geistdörfer und Hinnerk Schönemann in Lindenberg im Allgäu als Erinnerung an das Deutsche Hutmuseum geschenkt bekommen haben.

Fotograf Uli Jooss trägt auf der grünen Wiese seinen guten Walcher und macht sich trotz des tollen Lichts mit den dramatischen Wolken buchstäblich vom Acker: „Das ist mir jetzt zu gefährlich.“ Um 18:10 fällt der Vorhang. „Ja, das hat ganz schön gescheppert“, grinste Röhrl später. An Steuerbord ein trist grauer Vorhang, an Backbord eine schwarze Mauer und vor sich ein undurchsichtiger Vorhang aus Wasser kämpft sich das Feld mit am Limit leiernden Wischern hinunter Richtung Flughafen. Im Dornier-Museum wollten sie eigentlich nur das Büffet auftragen, jetzt überlegen sie angesichts des Wolkenbruchs, welches Flugboot sich auf die Schnelle flottmachen ließe.

„Unglaublich“, sagt der Röhrl, vor der Replika einer von zwei Dornier Wal stehend, mit denen Roald Amundsen und Landsmann Hjalmar Riiser-Larsen vor exakt einem Jahrhundert zum Nordpol aufbrach, aber 250 Kilometer vor dem Ziel mit Motorschaden landen musste. Fast einen Monat lang schufteten die sechs Männer der zwei Besatzungen um auf sich ständig ineinander und übereinander stapelnden Eisschollen eine halbwegs ebene Startbahn zu planieren. Sie bewegten bei auf 250 Gramm gekürzte Tagesrationen um die 500 Tonnen Eis für 500 Meter Piste. Schließlich musste die überlebende Maschine die doppelte Mannschaftslast tragen. Amundsen und seinen Getreuen gelang der Rückflug und die Rettung, nur die Maschine ereilte im zweiten Weltkrieg das Schicksal wie so vielen: Im Deutschen Museum ausgestellt, verbrannte sie bei einem Bombenangriff. Zu retten war nur der Propeller, der heute im Dornier-Museum im zweiten Stock zu bestaunen ist. Wen es nach der Nordpol-Story fröstelte, der begab sich zu Braten mit Rotweinsoße, Schwenkkartoffeln, Maultaschen und Kürbis-Lasagne zu Tisch, wo stählerne Vögel wie Alpha Jet und der „Silberfuchs“ der Lufthansa den Speisenden über die Schultern schauten.

Vor der Wal wärmten sich zwei Männer an ihrem Wiedersehen. Als Röhrl-Klassik-Dauergast Gerhardus Kreyenborg die Starterliste durchforstete, fiel ihm ein Name auf: Johannes auf der Lanver heißen jetzt nicht ganz so viele Menschen. Einer solchen Namens gehörte einst zu Kreyenborgs Grevener Clique, nach dem Abi ritten sie gemeinsam in einem Käfer über die Alpen nach Italien. Was sie schon damals verband war der Porsche-Fetisch, nicht zuletzt weil Auf der Lanvers großer Bruder schon einen fuhr. Nach dem Trip verlor man sich aus den Augen, 47 Jahre lang, bis zur AvD-Röhrl-Klassik 2025. Sie hätten sich auch dieses Mal verpassen können, schließlich hat Kreyenborg Startnummer 24, der alte Kumpel Hannes die letzte Nummer 170. Aber Startzeit hin oder her, der eine wartete im Dornier-Museum auf den anderen, und beide versichern: „Als wir uns wieder gesehen haben war es, als wären wir erst gestern auseinandergegangen.“

Wer sich eine gemütliche Verdauungsspazierfahrt mit schwerem Bauch und leichter Seele durch Hopfenspalier und Apfelparaden Richtung Lindau erträumt hatte, den holten düstere, nach Osten ziehende Fetzenwesen zügig zurück auf den Boden der Tatsachen. Der dümmste Satz des Tages entglitt dem Autor dieser Zeilen beim Überqueren der Brücke zur Insel Lindau: „Immerhin hat der Regen aufgehört.“ Kaum war im Etappenziel an der Hafenmole Cappuccino bestellt, schüttete das nächste Gewitter die Schaumkapuze platt. Vier Autos bleiben mit Pannen auf der Strecke. Thomas und Elke Schulz in der Nummer 159 strecken auch ohne Defekt die Waffen. Das Aquarium draußen ist eine Sache, die beschlagenen Fenster drinnen im 356 Cabrio eine ganz andere. Das Handy bimmelt: DK 5A musste wegen Unbespielbarkeit abgebrochen werden. Die letzten Schaulustigen räumen auf der Lindauer Promenade das Feld mit dank Schirm trockenem Haupthaar, aber patschnassen Füßen.

Der Wetterbericht für Freitagvormittag sieht auch nicht berühmt aus. Nicht nur Regen ist angesagt, sondern bis hinunter auf 2100 Meter sogar Schnee. Aber wen kratzt es? Die hohen Pässe sind ja erstens erst am Samstag dran, zweitens denkt niemand daran und drittens soll es am Nachmittag wieder schön werden für den Rest der Veranstaltung. Die aktuell führende Mannschaft Ralf Ehlen und Beifahrerin Heike Köppel haben in ihrem Porsche 911 T Targa nur einen hauchdünnen Vorsprung, dahinter trennen die Plätze 2 bis 4 gerade einmal 4/100 Sekunden auseinander.

Walter Röhrl und Beifahrer Christian Geistdörfer liegen auf Rang 79, in Lindenberg und Wangen im Allgäu mussten sie zweimal stoppen, um sich in die Goldenen Bücher der Städte einzutragen. Und Schauspieler Hinnerk Schönemann liegt mit Co Jens Herkommer knapp davor auf Platz 68.


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