Wie in den Vortagen säumen unzählige Schaulustige die Straßen, Vorgärten und Plätze. Die Besatzung des weißen Voraus-Kombi geht mit gemischten Gefühlen aus dem Wochenende. 20 Kartons mit insgesamt 1400 Programmheften hatten sie seit Donnerstag zum Verteilen an den 750 Streckenkilometern gebunkert. „Alle weg“, heißt es auf Nachfrage. Und wo soll jetzt das Problem sein? „Wir hätten noch 1000 mehr verteilen können.“ Konrad Delius, ehemaliger Chef des Delius-Klasing-Verlages ist begeistert: „Es war ein rundum großartiges Wochenende, aber das, woran ich mich am längsten erinnern werde, ist die Freundlichkeit der Leute.“
Viele werden sich vor allem Sturz ins Bodenlose erinnern, als das Feld zur Mittagszeit am Bilster Berg in die Mausefalle gerät. Die überfallartige, böse, nicht enden wollende Links Bergab ist der legendären Corkscrew (Korkenzieher) in Laguna Seca nachempfunden. Sonst außer auf der Nordschleife des Nürburgrings von Rundstrecken eher gelangweilt, ist das Fahren über die 4,2 Kilometer lange Berg- und Talbahn bei Bad Driburg für Walter Röhrl keine Strafe: „Das ist schon eine echte Fahrerstrecke“, urteilt der Mann, der schon von der TransAm in den USA bis zur Langstrecke in Silverstone oder der DTM Rennen gewonnen hat.
Während sich die kriegsbemalte Fraktion wie die Besatzung des PDM-gesponserten 964er Cup-Carrera kontrolliert lässig geben muss – Marcus Kroll und Stefan Thielen starten für das Team „Chillout Racing“ – gesteht Ottmar Heider, dass ihm zwischen Randsteinen und Fangzäunen der ein oder andere Gaul im schnellen 993 Carrera 4S beinahe durchgegangen ist, dazwischen stand nur noch das Reglement: „Die Prüfung habe ich total versemmelt“. Dass Vorsatz im Spiel war, streitet er nicht ab: „Da ist der Racer in mir durchgegangen.“ Zügig und souverän umrundet Heinz Schmersal im ebenso roten wie raren 959S die Strecke. Der Routinier aus dem Langstreckenpokal am Ring ist vor zwei Jahren ins historische Fach gewechselt. „Seit ich die Zähne wieder reingetan habe, geht’s“, grinst der zweimalige historische Tourenwagenmeister.
Die Besatzung der Startnummer 7 stritt rundweg ab, der weiße 356 der Autobahnpolizei Düsseldorf sei am Bilster Berg schneller gewesen als die Polizei erlaubt. „Schöner als die Polizei erlaubt“, präzisiert Pilot Jürgen Wettge. Auch Klaus Hartjen mag im Ziel nicht ernst bleiben. Der 75-Jährige war die meiste Zeit seines Lebens Rallye-Beifahrer, unter anderem mit Größen wie Jochi Kleint. Von Spaß will er bei der Röhrl-Klassik nichts hören: „Nicht wenn man mit seiner Frau fährt.“ Dorte Hartjen winkt auf dem rechten Sitz des froschgrünen Dreiliter-911SC lässig lächelnd ab. Der Lenker der Startnummer 95 relativiert nach dem Wochenende: „Wir sind noch verheiratet – übrigens seit 54 Jahren.“
Ein ordentliches Loch hatte der Spaß für die folgende Startnummer. Axel Kayko will am Bilster Berg gerade richtig loslegen, aber sein 911 ST nicht. „Kein Vortrieb“, rapportiert er an Ehefrau Alexandra. Die flugs herbeigerufenen AvD-Pannenentferner haben eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Eine Halbwelle ist abgefallen, alle Schrauben sind los. Die gute Nachricht: Alle Schrauben sind noch da. Ruckzuck ist wieder alles festgezurrt, und es kann weitergehen, so wie für die allermeisten. Als sich Walter Röhrl als junger Bursche seinen ersten 356 zulegte, weil ihm der große Bruder zu „was G’scheitem“ geraten hatte, war die Anschaffung des Porsche quasi Notwehr: „Ich hätte kein Geld für Reparaturen gehabt, und ich wusste, bei Porsche gibt’s keine.“
Außer für den gestern mit Kupplungsdefekt gestrandeten 356 mit der Nummer 55 haben von 150 Teilnehmern lediglich zwei weitere Teams die Segel gestrichen. Eine Mannschaft reiste aus terminlichen Gründen planmäßig vor dem Ziel ab, und die Startnummern 140 und 141 hatten eine Begegnung der besonderen Art: nämlich miteinander. Der harmlose Auffahrunfall ist vermutlich nicht mal ein Blechschaden. Nach erster Bestandsaufnahme erwischte an der 140 offenbar lediglich Heckstoßstange und Kennzeichenbeleuchtung.
Mit unversehrtem Carrera 2.7, aber angekratztem Nervenkostüm kommt die Mannschaft mit der 78 im Ziel in Winterberg an. „Wir sind sehr nervös“, gesteht Dennis Kissling, und Beifahrerin Tanja Seiffert präzisiert: Wir waren gestern Sechste und wollten uns nicht verschlechtern.“ Dabei war die Furcht unbegründet. Der Blick hätte eher nach vorn gerichtet sein sollen, lag die Paarung doch am Samstag nur 0,1 Sekunden, oder umgerechnet zehn Strafpünktchen von Platz fünf entfernt. Rallyeleiter Peter Göbel kann Entwarnung geben: Kissling und Seiffert werden Fünfte.
Am ersten Tag noch in Führung, werden Frank Schmerbeck und Monika Ebner im 356 mit der Startnummer zwei nach 26 Wertungsprüfungen Dritte. Nach dem Sieg in der Sanduhrwertung bei der Sauerland-Klassik erstmals mit Schnittcomputer unterwegs, schrammen Armin Rössner und Leonore Jahn im 944 Targa nur knapp an Sensation und Gesamtsieg vorbei. Das Paar mit der Startnummer 58 wird Zweiter. Die Führenden des Samstags, Norbert Schrader und Ralf Schoenfelder indes behaupten sich an der Spitze und heimsen im 76er 911 Targa den Gesamtsieg ein. Beifahrer Schoenfelder, US-Staatsbürger, könnte die Heimreise theoretisch auch auf dem Seeweg absolvieren. Die Sieger räumen mit einer Kreuzfahrt auf dem Luxus-Segelschiff „Sea Cloud“ einen stattlichen Preis ab. Lässt sich da von Zufall sprechen? Der Törn im Wert von fast 14.000 Euro geht an die Startnummer 14. Dass bei manchen wohl eher Bestimmung im Spiel war, zeigt der Sieger der Sonderwertung für die Rollprüfung: Die geht an den Fahrer des Porsche 964 mit der Nummer 40 – Peter Roll.
Röhrl-Klassik-Routinier und TV-Kommissar Hinnerk Schönemann konnte sich mit Rang 106 schon früh aus dem Kreis der Siegverdächtigen streichen lassen. Mit einer getränkepflichtigen Verwarnung muss im 964 mit der Startnummer Acht allenfalls Beifahrer Jens Herkommer rechnen. Schließlich ist der Erzgebirgler amtierender Histo-Monte-Sieger. Ehrengast und Namenspatron Walter Röhrl ließ im Klassement nahezu dem ganzen Feld den Vortritt. „Das war weit entfernt von sportlicher Höchstleistung, was wir hier abgeliefert haben, aber er war sehr nah dran an den Menschen und an den Fans des Rallyesports. Und genau das liegt mir so sehr am Herzen und war mein absolutes Highlight dieser dritten Röhrl-Klassik.“
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